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DIE GESCHICHTE DER BURSCHENSCHAFT

DER GRUND DER GRÜNDUNG

Da nicht einmal das Datum der Gründung bekannt ist, lässt sich über den Grund, einen solchen Verein ins Leben zu rufen, nur spekulieren. Tatsache ist, dass solche Vereinigungen in der Pfalz und vor allem im Leiningerland keine Seltenheit sind. So gibt es heute die Vereine, die sich meistens „Kerweborsch“ oder „Kerwekomitee“ nennen, beispielsweise die „Kindenheimer Kerweborsch“ oder das „Asselheimer Kerwekomitee“. Letzteres hat sich erst 1992 gegründet mit dem Ziel, „die alten Traditionen wieder aufleben zu lassen“. Die Hauptaufgabe dieser Vereine ist die Organisation und Durchführung der Kerwe, wenn auch in manchen Ortschaften nur symbolisch. So organisiert in Asselheim die Stadt Grünstadt die Veranstaltung und das Kerwekomitee kümmert sich um die Werbung und den Umzug am Kerwesonntag. Während des Festes übernehmen die Mitglieder des Kerwekomitees repräsentative Aufgaben.

All diese Vereine sind an eine ältere Tradition angelehnt, die noch viel früher existiert haben muss. So wurde 1787 die „Zunft junger Burschen zu Kriegsfeld“ gegründet. Dabei handelt es sich um eine Neugründung. Der Verein hat also davor schon einmal existiert. Die Burschenschaft 1813 Bockenheim hat sich, wie am Vereinsnamen zu erkennen ist, 26 Jahre später gegründet wobei sich die Vereinsstrukturen und die Statuten sehr ähneln. Möglicherweise war es in dieser Zeit in „Mode“, solche Vereine zu gründen. Handelt es sich um eine Kopie der Burschenzunft in Kriegsfeld?

Vermutlich nicht, denn die Zunft junger Burschen zu Kriegsfeld wurde noch vor der französischen Revolution gegründet, also in einer Zeit, in der die Pfalz in relativ gutem Wohlstand und Frieden lebte. Durch die Revolutionskriege der französischen Revolution wurde vieles verwüstet. Unter anderem auch Kriegsfeld und Kleinbockenheim. Die Burschenschaft 1813 Bockenheim, die damals noch „Burschenschaft Kleinbockenheim gegründet 1813“ hieß, wurde nach der französischen Revolution in der Zeit der napoleonischen Kriegen ins Leben gerufen. Dazu kam noch, dass französische Soldaten den Fleckentyphus, auch Fleckfieber genannt, verbreitet hatten. In Mainz starben in den Jahren 1813 und 1814 über 24000 Menschen an dieser Krankheit. In den Dörfern war die Zahl der Erkrankten nicht so hoch wie in der Stadt, aber dennoch prägte die Krankheit die Bevölkerung. Warum sollte in dieser Zeit ein Verein gegründet werden, der für Geselligkeit steht? Die Wurzeln des Vereins müssen woanders liegen.

In alten Festschriften und Berichten der Burschenschaft ist immer wieder zu lesen:

„Die Burschenschaft Kleinbockenheim wurde, wie ein alter Stempel beweist, im Jahre 1813 ins Leben gerufen. Massgeblich an der Gründung beteiligt, so glaubt man, war der damalige Graf des Schlossen Emichsburg. Er wollte eine Verlässliche Ordnungsmannschaft schaffen, um die Bürger vor umherziehenden Soldaten zu schützen[…]“ 

Niederberger, Hans u.a.: „Wer sie sind und was sie leisten“, Bockenheim 1986, S. 9.

War es wirklich ein Graf, der die Burschenschaft gegründet hat? Der damalige Chef des Hauses Leiningen, die die Emichsburg errichtet hatten, war Emich Carl zu Leiningen. Dieser war aber kein Graf, denn die Leininger wurden durch den Reichsdeputationshauptschluss 1803 enteignet. Durch die Säkularisation bekam das Geschlecht jedoch Teile von Kurmainz, der Kurpfalz und dem Hochstift Würzburg zugesprochen und wurden somit fürstlich entschädigt. Emich Carl war der Zweite Fürst zu Leiningen nachdem sein Vater Carl Friedrich Wilhelm zu Leiningen im Jahre 1807 starb. Allerdings ohne eigenes Land, denn im Zuge der Mediatisierung durch Napoleon ging das kleine Fürstentum im Odenwald schon 1806 politisch in das Großherzogtum Baden über. Dass mit dem „Graf der Emichsburg“ der Fürst zu Leiningen gemeint ist, lässt sich nur schwer beweisen, denn die Emichsburg wurde mit allen Leininger Besitzungen in Bockenheim, ebenfalls 1806, an den Großbockenheimer Pfarrer Heinrich Weiß verkauft. Dieser war bürgerlich und konnte somit auch nicht als Graf gemeint sein. Möglicherweise ist es auch über die Jahre falsch überliefert worden und die Burschenschaft wurde nicht von einem Grafen gegründet, sondern fühlte sich bei der Gründung nur dem Grafen verpflichtet.

Eventuell glaubte man an eine Rückkehr der Leininger oder hoffte es zumindest. Als 1793 die Französischen Truppen in Bockenheim einfielen um dort die Revolution zu verbreiten, befahlen sie den Bürgern, einen Bürgermeister (Maire) nach französischem Vorbild zu wählen. Die Bürger Kleinbockenheims wählten ausgerechnet einen alten Leininger Gerichtsmann namens Klingel. Dies bestätigt, dass die Bockenheimer doch noch eine gewisse Loyalität zu ihrem damaligen Herrschern oder zumindest zu dem System haben könnten. Möglicherweise übertrug sich diese Loyalität auch auf die nachfolgende Generation sodass sie noch 20 Jahre bis 1813 anhielt.

Ein Grund dafür wäre die Rückkehr des zu diesem Zeitpunkt noch Erbprinzen Emich Carl zu Leiningen im März 1794. Er eroberte Leiningen zurück, 1796 waren jedoch die Franzosen wieder die Herrscher. Von den zwei Jahren Leininger Herrschaft ist nicht viel überliefert, denn die Verwaltung war in dieser Zeit sehr damit beschäftigt, die alte Ordnung wiederherzustellen. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Leininger sich in dieser Zeit sehr mit dem Volk verbündet hatten, denn sie brauchten jeden Mann um die Grafschaft vor den Franzosen zu bewahren. Möglicherweise haben sich die Bockenheimer in dieser Zeit an ihren Grafen gebunden und ihm Loyalität geschworen, die sie an die nachfolgende Generation, welche die Burschenschaft 1813 Bockenheim gegründet hat, vermittelt haben. Es liegt also sehr nahe, dass sich die Gründer auf den Fürst zu Leiningen, der für die Bockenheimer „ihr Graf“ war, berufen haben und tatsächlich eine Schutztruppe gründeten, die eine große Loyalität zu ihm aufzuweisen hatten.

Dass es sich bei der Burschenschaft 1813 Bockenheim zunächst um eine Schutztruppe handelte, lässt sich vermuten, wenn man sich die Umstände der Zeit betrachtet. Jeden Tag kampierten Soldaten auf einem Feld vor den Toren Kleinbockenheims in Richtung dem Rheinhessischen Monsheim. Im Jahr 1813 kam es zu einer der bedeutendsten Schlachten der europäischen Militärgeschichte, der Völkerschlacht bei Leipzig. Aus diesem Krieg kamen russische Elite-Reitsoldaten, die sogenannten „Kosaken“. Diese verbreiteten Angst und Schrecken in der Bevölkerung Bockenheims. Sie schlugen auf dem besagten Feld ihr Lager auf, das seitdem „Kosakenacker“ genannt wird, was auch heute noch die offizielle Bezeichnung dieses Platzes ist. Wenn die Burschenschaft also als Schutztruppe gegründet worden ist, ist es wahrscheinlich, dass sie die Bürger vor den Kosaken beschützen sollte.

Natürlich gibt es einige Kritiker der Theorie. So bezweifelt der bekannte Heimatforscher und Schriftsteller Helmut Seebach aus Mainz, dass Jugendliche als Verteidigung des Ortes eingesetzt wurden. Hierfür seien überregionale Truppen zuständig. Jedoch handelte es sich bei den überregionalen Truppen zu dieser Zeit um französische Truppen, die zwar gegen Russland kämpften, aber wenn die Gründer der Burschenschaft noch loyal zum Fürst von Leiningen waren, riefen sie wahrscheinlich nicht ausgerechnet die französischen Truppen um ihnen zu helfen. Es ist also gut möglich, dass die Burschenschaft 1813 Bockenheim als Schutztruppe der Kleinbockenheimer Bevölkerung gegründet worden ist und dem Fürsten zu Leiningen loyal gegenüber stand.

In dem ältesten von der Burschenschaft erhaltenen Protokollbuch von 1884 befindet sich, wie schon erwähnt, auf der ersten Seite die Erneuerung der Statuten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zusammen mit dem Schwur im Jahre 1825 verfasst worden sind. Dies ist auch ein Anhaltspunkt dafür, dass die Burschenschaft in den ersten Jahren ihrer Existenz einer anderen Aufgabe nachging. Nachdem vorerst alle Kriege beendet waren, die Bockenheim betrafen, hatte man vermutlich den Verein umstrukturiert und zu dem gemacht, was er noch heute ist.

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